Atelier Europa
Team: Vor welchen
theoretischen und politischen Hintergründen hast du die
Zeitschrift de-, dis-, ex-
über immaterielle Arbeit in kulturellen Kontexten
herausgegeben?
Marina Vishmidt:
Den wichtigsten Grund hast du schon in deiner Frage
benannt: Der Begriff der "immateriellen
Arbeit" wurde in den Schriften zeitgenössischer
französischer und italienischer Theoretiker entwickelt,
die hauptsächlich im Bereich der marxistischen und
post-autonomen Kritik der Arbeit und sozialen
Organisation arbeiten, die wiederum bis jetzt noch nicht
wirklich auf kritische Praktiken in der
"Kunstwelt" übertragen worden ist. Wir
hielten diese Kritik für außergewöhnlich wichtig,
weil sie die tatsächliche Unterordnung sämtlicher
Formen von Sozialität und Subjektivität unter
kapitalistische Produktionsprinzipien postuliert -
zumindest in den Schriften von Antonio Negri. Dabei wird
immaterielle Arbeit als genau die Art von Produktion
beschrieben, die im Bereich des Affekts und des Wissens
operiert und so eine beträchtliche Steigerung der
Produktionskapazität des Individuums erzielt – des
Lebens an sich, um genau zu sein - ohne jeglichen
Spielraum, nicht einmal für Entfremdungsprozesse, zu
gestatten. Wenn der ideale Arbeiter ein
Informationsarbeiter ist, dann ist der ideale Arbeiter
ein Künstler. Ebenso schienen sich produktive Analogien
ziehen zu lassen zwischen einerseits der Übernahme
traditionell künstlerischer Eigenschaften wie Kreativität
und Spontanität durch das Management-Dogma der
flexibilisierten Ökonomie und andererseits der sich
zunehmend durchsetzenden, oder weiter bestehenden,
Selbstidentifikation der Künstler als kulturelle
Arbeiter, manchmal auch als kulturelle Unternehmer, ganz
zu schweigen von den kulturellen Arbeitern, die die
Kunstökonomie vermitteln und perpetuieren, von
Kuratoren über Händler bis hin zum technischen
Personal. Die Konvergenz dieser Diskurse, die
wahrscheinlich niemals vollkommen voneinander getrennt
waren, aber jetzt weniger unterschieden sind als je
zuvor, schien von einer gemeinsamen Form der
Subjektivierung zu zeugen, die erkennbar "künstlerische"
Seinsweisen als begehrenswerte, wenn nicht gar
notwendige Attribute des zeitgenössischen
Produzenten/Konsumenten darstellte. Zudem konnte sie
widerständige Praktiken rückstandsloser als je zuvor
absorbieren. Als optimale Aspekte der künstlerischen
Existenzform zeigen sich hier jedoch ausnahmslos
diejenigen, die statt der erratischeren oder
eigensinnigeren Charakteristika des
"kreativen" Typus, Anpassungsfähigkeit und
Opportunismus signalisieren. Die Analogie reicht also
nur so weit, wie sie dem Kapital ermöglich, sie zu
mobilisieren.
Damit einher geht die Anziehungskraft, die Kunst als
Investition auf die größten Bauherren des
transnationalen Kapitals ausübt – Kunst war schon
immer ein prestigeträchtiges Alibi für das Big
Business. Wenn aber staatliche Sozialleistungen so
drastisch reduziert werden wie zur Zeit, dann wird die
Wohltätigkeit der Konzerne immer entscheidender, sogar
um Räume aufrechtzuerhalten, in denen sich Kritik
entfalten kann.
Atelier Europa
Team: In der Einleitung zu
dieser Ausgabe über das Verhältnis von Kunst und immaterieller
Arbeit behauptest du, die Erosion der Grenzen zwischen
Künstler und Arbeiter sei ein soziales und kein ontologisches
Faktum. Wie und warum haben sich diese Grenzen deiner
Meinung nach aufgelöst?
Marina Vishmidt:
Wir können hier nicht so einfach zwischen sozialen
und ontologischen Fakten unterscheiden, insbesondere
weil ich nicht ganz sicher bin, was mit einem
"ontologischen" Faktum, das diese beiden
Begriffe isoliert von den sozialen Verhältnissen
definiert, durch welche sie überhaupt erst als
distinkte Begriffe hervorgebracht werden, gemeint wäre.
Mit Sicherheit wäre ein ontologisches Faktum rekursiv,
da es nur auf ein kulturell vermitteltes Zeichensystem
verwiese, dass ihm als ontologisches Faktum Legitimität
verliehe.
Es scheint, dass die Artikulationen, die die Erodierung
der Grenzen zwischen Künstler und Arbeiter erwirken,
genauso in der "Kunstwelt" ihren Ursprung
haben, wie sie durch bestimmte Epiphänomene beeinflusst
sind, die durch diese Welt wahrscheinlich nicht als ihr
äußerlich erkannt werden würden. Ein Beispiel dafür
wäre der russische Konstruktivismus während und nach
der Revolution. Die Frage der Grenze wie auch ihrer
Erosion scheint schon immer eine ausgeprägt taktische,
performative oder polemische Funktion gehabt zu haben
und einer beachtlichen Reihe von kunstimmanenten wie
auch politischen Zwecken in höchst unterschiedlichen
Situationen gedient zu haben. Wenn wir eine schematische
Analyse des historischen Ursprungs dieser Aufspaltung
machen wollten, wäre die industrielle Revolution ein
naheliegender Ausgangspunkt – Massenproduktion versus
individuelle Empfindsamkeit, unfreie Arbeit und freie
Einbildungskraft, Kapital und Kultur, Austauschbarkeit
und Singularität, Bürger und Bohemien,
gewerkschaftlich Organisierter und Beatnik, industrielle
Arbeitsbiene und Dotcom Wunderkind wie auch sämtliche
Modi, innerhalb dieser Gegensätze zu leben oder sie
auszubeuten.
Atelier Europa
Team: Eine deiner Thesen
ist aber auch, dass die KonzeptkünstlerInnen "die
Prototypen für den heutigen ‚affektiven Arbeiter’ sind".
Warum beziehst du dich so ausdrücklich auf KonzeptkünstlerInnen?
Marina Vishmidt:
Um einigermaßen genau und doch allgemein zu sein:
die Konzeptkunst verkündete die Entmaterialisierung des
Kunstobjekts, um stattdessen die symbolischen
Vermittlungsformen in den Blick zu nehmen, die Kunst als
Ereignis und Kommunikationsmodus zu instituieren. Auch
in der gegenwärtigen kapitalistischen Produktion wird
das Objekt verdrängt, da sich diese auf Branding,
Differenzierung, Lifestyle Marketing,
Aufmerksamkeitsmanagement usw. konzentriert. Beide sind
durch den Aspekt der Aufwertung von Information
gekennzeichnet, und die Methoden mancher Konzeptkünstler
können in vielerlei Hinsicht als Vorläufer heutiger
Standards im Bereich der IT-Regulierungen gelten. Mehr
noch, man könnte argumentieren, dass das
entmaterialisierte Objekt in Wirklichkeit Information
ist, weil es den selben urheberrechtlichen Bestimmungen
unterliegt. Vielleicht war das der größte Fehler des
Konzeptualismus (als im Rückblick totalisierende
Geste), dass er seine Befragung des Kunstobjekts nicht
bis zur Analyse der Machtverhältnisse, die über die
Definition des Kunstobjekts wie auch des Künstlers
bestimmen, vorangetrieben hat. Natürlich maßt sich
diese Anschuldigung nicht an, auf jeden einzelnen
Akteur, der jemals als Konzeptkünstler bezeichnet
wurde, zuzutreffen – es ist ja bereits eine verdächtige
Form modernistischer Orthodoxie, Konzeptkunst als
homogene Bewegung darzustellen und sie so paradoxaler
Weise zu verdinglichen.
Atelier Europa
Team: Um meine Frage noch
einmal deutlicher zu formulieren: Ich frage mich, ob
du, wenn du konzeptuelle Kunst als intellektuelle Form
künstlerischer Produktion und als Paradigma immaterieller
Arbeit in den Blick nimmst, diese neue Form von Arbeit
nicht auch als eine intellektuelle/künstlerische Fähigkeit
interpretierst. Das würde bedeuten, dass immaterielle
Arbeit nur ausgehend von intellektuellen/künstlerischen
Formen der Arbeit und einer spezifischen Auffassung
von Information und Wissen, wie sie in den 60er und
70er Jahren durch die Konzeptkunst formuliert wurde,
verstanden werden könnte. So wie ich den Begriff der
immateriellen Arbeit verstehe, bezieht er sich auf den
industriellen Komplex und den wachsenden Sektor der
"care economy" sowie, aber nicht nur, auf
die Felder der Wissensproduktion und Kommunikationstechnologien.
War es vor diesem Hintergrund nicht eine strategische
Entscheidung, sich auf Konzeptkunst zu konzentrieren?
Marina Vishmidt:
Ich stimme mit allem, was du gesagt hast, völlig überein.
Unsere Positionierung der Konzeptkunst hatte die
spezifische Aufgabe, eine mehr oder minder polemische
"Zugbrücke" zwischen bestimmten politischen
Praktiken einer Ära und Arena und ihrer Rekonfiguration
in einer anderen einzuziehen; eine Brücke, die, wie wir
meinen, noch nicht adäquat beschrieben worden ist, ganz
zu schweigen von den Verwerfungslinien, die sie
miteinander verbindet. Konzeptkunst ist nur ein Strang
unserer Untersuchung und nicht im mindesten als
totalisierende Metapher intendiert. Sie schien einfach
nur emblematisch für eine Richtung zu sein, die in der
Kunst als radikalisierte Reaktion auf kulturelle oder
soziale Veränderungen eingeschlagen wurde und die
sowohl eine Veränderung anzeigen wie auch ein Scheitern
bedeuten könnte. Aber natürlich verweist ein Scheitern
immer auf etwas Anderes. Und die Geschichte der Kunst
ist eine Geschichte des Scheiterns, sonst würde sich ja
niemand dafür interessieren, Kunst zu machen oder über
sie nachzudenken, und Benjamins Argument zur Errettung
des Scheiterns in der Gegenwart messianischer Zeit ...
Es war insofern vielmehr eine strategische Entscheidung,
als dass wir das Gefühl hatten, dass in den gegenwärtigen
Versuchen, die Funktionsweisen der Kunstwelt innerhalb
der informationalisierten globalen Ökonomie zu
theoretisieren, etwas fehlte oder nur ganz marginal
thematisiert wurde. Und es schien möglich zu
beschreiben, wie bestimmte Phänomene zusammenhängen
und sich in Clustern formieren. Außerdem, was die Rolle
der "Forschung" betrifft, und das wird bei der
Arbeit des Critical Art Ensemble besonders deutlich,
interessierte uns die Kultur des Expertentums und ihre
Permutationen innerhalb der vorherrschenden
Machtstrukturen, die das Administrative zum
Markenzeichen ihrer post-politischen Betriebsanleitung
machen, wo sich doch in der Informationsgesellschaft
angeblich alles um Enthierarchisierung dreht und darum,
dass alle zu Experten werden – aber wie beim Modell
des Kreativen, nur bis zu einem bestimmten Grad.
Atelier Europa
Team: In deinen Ausführungen
stellst du einige gängige Annahmen über kritische und
konzeptuelle Kunstpraxen der Gegenwart in Frage, zum
einen aufgrund der entscheidenden Durchdringung der
Ökonomie des Wissens durch künstlerische Praktiken,
zum anderen aufgrund ihrer eigenen symbolischen Politiken.
Aus dieser Perspektive fragst du, wie zeitgenössische
Kunst weder als komplizenhaftes Einverständnis mit den
Verhältnissen noch als trügerisch autonom gedacht werden,
sondern als eine Formation von dislozierenden Taktiken,
die dazu beitragen, reale Voraussetzungen für eine andere
Lebensweise zu schaffen.
Marina Vishmidt:
Es gibt hier wirklich keine eindeutigen
Schlussfolgerungen und die einzigen provisorischen sind
auch sehr allgemein, beispielsweise, dass den sich
ausweitenden Möglichkeiten der Komplizenschaft Möglichkeiten
der Verweigerung entgegengesetzt werden müssen, oder
zumindest ein reflektiertes und nachhaltige Engagement für
Positionen auf die es ankommt. Wenn es irgendwelche
Schlussfolgerungen gibt, dann interessieren uns
wahrscheinlich eher die Wege, die von den Autoren und
Projekten in unserem Buch eingeschlagen werden wie auch
die Reaktionen derjenigen, die auf sie treffen.
[publiziert auf:
http://www.ateliereuropa.com/]
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